Duften wie ein Snack, verkauft wie ein Statussymbol: Die Foodifizierung der Schönheit

In einer Branche, in der Produkte ebenso sehr durch Geschichten wie durch Wissenschaft verkauft werden, hat sich Essen zum geheimen Schlüssel für authentische Verbraucherbindung entwickelt. Lebensmittel in der Schönheitspflege signalisieren Geschmack im wörtlichen wie im modischen Sinn und schaffen emotionale Verbindungen, Nostalgie und sogar soziale Statussymbole.
Vom ’90er-Jahre Lip Smacker Cotton Candy-Hype zur Social-Media-Kultur
Was einst in den 90er Jahren mit dem Lip Smacker Cotton Candy begann, hat sich zu einer umfassenden, von sozialen Medien getriebenen kulturellen Sehnsucht entwickelt: Beauty-Enthusiasten streben nach „glasiertem Donut-Hautbild“ (über 1,5 Milliarden TikTok-Aufrufe), gourmetinspirierten „dessertähnlichen Düften“ (Spate meldet ein Suchwachstum von +182,1 % jährlich) und „Erdbeer-Mädchen-Make-up“ (ein TikTok-Tutorial erzielte 45,1 Millionen Views). Angespornt von diesem Verbraucherinteresse kreieren Beauty-Marken Produkte, Kooperationen und Marketingkampagnen, die aussehen, riechen und sich anfühlen wie schmackhafte Snacks und Getränke – mit starkem Fokus auf süße Leckereien.
Gesellschaftlicher Sweet Spot: Warum dieser Trend jetzt kommt
Die Schönheitskritikerin und Kulturkommentatorin Jessica DeFino sieht den Aufstieg von food-inspirierter Schönheit im Zusammenhang mit der Anti-Diät-Kultur, die Mitte der 2010er Jahre in den Mainstream drang. „Die Anti-Diät-Kultur schränkte die Schönheitsstandards ein, die die Medien fördern konnten, ohne Kritik zu ernten“, erklärte sie BeautyMatter.
Als die Kritik am Körper an Bedeutung verlor, rückte die Haut in den Fokus: Nicht mehr Gewichtsverlust galt als Schönheitsideal, sondern die Bekämpfung von Falten, Akne und Hyperpigmentierung mittels sorgfältig kuratierter Hautpflege. DeFino sieht die vermeintliche Befreiung „alle Körper sind schön“ durch das Motto „keine Haut ist gut“ (noch) abgeschwächt. Schnell rückte Essen in den Mittelpunkt der Hautpflege, „gute Haut“ bedeutete „glasierten Donut-Teint“ oder „Jello-Haut“.
Der Boom von GLP-1-Gewichtsverlustmitteln 2024 verstärkte diese Entwicklung weiter: Nutzer aßen weniger, der Verkauf süßer Backwaren sank. Beauty-Kooperationen mit Lebensmittelmarken wie Dove x Crumbl oder e.l.f x Dunkin’ erlauben es ernährungsbewussten Konsumenten, sich „süße“ Genüsse in Form von Beauty-Produkten zu gönnen.
„Food-Themen in Beauty sind eine andere Art von Nahrungsaufnahme, die den Körper im Schönheitsideal (unterernährt) und das Gesicht im Schönheitsideal (überpflegt) hält“, so DeFino.
Außerdem sieht sie den Trend als Spiegel der wirtschaftlichen Lage in westlichen Ländern: „Inflation und steigende Lebensmittelpreise machen Essen zu einem Luxus, deshalb könnten food-inspirierte Beauty-Produkte zu Statussymbolen werden.“
Vom Kühlschrank ins Gesicht: Psychologische Hintergründe des Trends
Essen bedeutet nicht nur Nahrung, sondern auch Trost. Deshalb berühren beauty-Produkte mit essbaren Zutaten emotional besonders stark, gerade in unsicheren Zeiten. Psychologisch sind alle fünf Sinne der schnellste Weg zum Herz der Konsumenten.
Michelle Kwak, Kommunikationsleiterin bei Laneige US, betont: „Indem Marken alle fünf Sinne ansprechen – durch visuelles Storytelling, Verpackung, Duft, Textur und Farbe – schaffen sie tiefere Verbindungen und verwandeln die Nutzererfahrung in ein erinnerungswürdiges Erlebnis.“
Das Laneige-Glaze Craze Lip Serum, inspiriert von frisch gebackenen Donuts, ist ein Paradebeispiel für sensorielles Marketing: Die Produkte mit donutförmigem Applikator wurden ein großer Erfolg, unterstützt durch auffällige Social-Media-Kampagnen mit pop-up Donut-Shops in NYC. Videos erreichten deutlich mehr Views als Wettbewerber und UGC (nutzer-generierte Inhalte) wuchsen stark.
Visuelles Storytelling ist laut Juan Campdera, CEO von Aktiva, kein Luxus, sondern essenziell, da es Hirnregionen für Vertrauen, Erinnerung und Belohnung aktiviert und einfache Produkte zu unvergesslichen Erlebnissen macht.
Der Duft spielte bei Glaze Craze eine große Rolle: Aromen wie Erdbeerstreusel, Zimtzucker und Blaubeergelee weckten emotionale Erinnerungen und Nostalgie. „Beim Öffnen soll das Produkt ein Gefühl von Vertrautheit und Freude vermitteln, ähnlich dem Lieblingsbäcker aus der Kindheit“, erklärte Kwak.
Auch ohne das physische Produkt vor sich können alle Sinne angesprochen werden, wie Glossier mit seiner Black Cherry Kollektion bewies, die visuelle, texturale und geschmackliche Assoziationen weckte. Die nächste Kampagne mit Espresso Balm Dotcom nutzte zusätzlich Klang für ASMR-Effekte.
Verlockende Kooperationen: Wenn Food auf Beauty trifft
Multisensorisches Marketing in Verbindung mit bekannten Food-Marken erzeugt emotionale Nähe. Kooperationen zwischen Food-Riesen und Beauty-Marken sind heute keine Überraschung mehr, sondern eine Frage des „Wer folgt?“
So führte Hailey Biebers limitierte Strawberry Glaze Lip Peptide mit Krispy Kreme zu einem 700 % Anstieg der Social-Media-Aktivitäten von rhode Skin. Native erzielte mit Partnerschaften zu Dunkin’ Donuts und Jarritos große Erfolge, indem bekannte Geschmackserlebnisse wie Boston Kreme in innovative Düfte umgesetzt wurden.
Solche Kooperationen erlauben es Beauty-Marken, mit sensoriellen Marketingformen zu experimentieren, die alleine schwer umzusetzen wären. Native nutzte Jarritos‘ bunte Branding-Elemente für auffällige Verpackungen, die als Statussymbol auf dem Badezimmerregal gelten.
Auch Erewhon in Los Angeles, ein organischer Lebensmittelhändler, ist ein Hotspot für Food-Beauty-Crossover, die Funktion, Geschmack und viralen Social-Media-Faktor verbinden. BondiBoost etwa kooperierte mit dem australischen Café Two Hands für ein minziges Matcha-Getränk, das die Wellness-Philosophie der Marke erweitert.
Diese strategischen Erweiterungen treffen junge Konsumenten dort, wo sie sind – in Cafés, auf Social Media und in Wellness-orientierten Umgebungen. „Konsumenten wollen Marken, die zu ihrem Lebensstil passen“, erklärt BondiBoost, „und ein minziger Matcha-Moment sorgt für Freude und Präsenz über das Badezimmer hinaus.“
Snackable Content: Food-Beauty im Trendkontext
Die Verbindung von Food und Beauty eröffnet Marken die Chance, bestehende Trends aus anderen Lebensbereichen zu nutzen. eos etwa setzte auf das Social-Media-Phänomen „hacking the menu“, bei dem Nutzer geheime Bestellungen kreieren. So konnten sie limitierte Lippenbalsam-Geschmacksrichtungen wie Pfirsich-Yuzu, Marshmallow Fluff und Braunen Zucker Bubble kombinieren und eigene „Rezepte“ kreieren.
Diese Strategie sprach besonders Gen Z an, die Individualisierung und Entdeckung liebt. Es ging nicht nur ums Produkt, sondern um ein kreatives, exklusives Erlebnis, das Fans als Teil einer Gemeinschaft fühlen ließ und die Markentreue stärkte.
Auch Glow Recipe nutzt Food-Inspiration, um durch Behind-the-Scenes Videos von der Produktion und fruchtigen Visuals Nähe und Authentizität zu schaffen. Solche Inhalte erzielen hohe Reichweiten und fördern eine lebendige Community.
Vom Vorratsschrank ins Produkt: Essbare Inhaltsstoffe im Aufschwung
Die Foodifizierung der Schönheit ist nicht nur ästhetisch, sondern auch funktional. Klassische Küchenzutaten werden zunehmend als wirksame Schönheitshelfer entdeckt. „Was wir auf die Haut auftragen, sollte genauso sorgfältig ausgewählt werden wie unsere Nahrung“, betont Angela Taylor von Elemis.
Ob Milch, Reis oder Wassermelone – Marken greifen auf traditionelle Hausmittel und kulinarische Klassiker zurück, die klinische Wirksamkeit und kulturelle Weisheit verbinden. Glow Recipe erklärt den Trend mit dem Einfluss der K-Beauty-Bewegung, die ganzheitliche Hautpflege mit lebensmittelbasierten Inhaltsstoffen populär machte.
Auch Körperpflege-Marken wie Kate McLeod schöpfen aus ihrer kulinarischen Herkunft: Als ehemalige Konditorin entwickelte sie Pflegeprodukte mit Zutaten wie Kakaobutter und Nussölen, die intensiv pflegen und gleichzeitig genussvoll wirken.
Diese handwerkliche, lebensmitteltaugliche Herangehensweise spricht Konsumenten an, die Transparenz und Sinnhaftigkeit suchen. Sogar etablierte Marken wie Elemis setzen auf essbare Düfte wie Kirsche, Mandel und Tonkabohne, um emotionale Wärme in der Hautpflege zu schaffen.
Den Trend schmecken: Wohin geht die Reise?
Food in Beauty hat sich von verspielter Nostalgie zu einer strategischen, sensorischen Erfahrung entwickelt, die Konsumenten emotional, kulturell und physisch anspricht. Die Verbindung von Genuss, Erinnerung und Verlangen passt zu einem von Wellness, Wirtschaft und digitalem Branding geprägten Umfeld.
Die Zukunft der Schönheit liegt in weiteren Crossovers – von limitierten Editionen bis hin zu langfristigen Markenkonzepten. Marken, die Transparenz mit kulturellem Kontext und sensorischer Freude verbinden, werden langfristig relevant bleiben.